Hayabusa Fahrer haben alle einen Vogel, soviel steht fest. (Schließlich heißt Hayabusa - zum tausendsten Mal - Wanderfalke, was so ziemlich der schnellste Vogel der uns bekannten Welt ist.) Wie kann man sich sonst den Kauf eines 197 PS starken Motorrads erklären? Vielleicht ist es die Gewissheit, daß man schneller fahren kann, als auf allen 30er Taferln im Dorf zusammengenommen steht. Vielleicht auch die Tatsache, daß der Reifen beim Beschleunigen noch bei 270 Schlupf zeigt. Oder einfach der menschliche, wenn auch seltsame Wunsch nach Überfluß. Den hatte die Hayabusa an Leistung schon 1999, damals mit 'gerade mal' 175 PS ausgestattet. Heute stecken über 20 Pferde mehr im 1340 Kubik Aggregat. Einen Vogel, sag' ich doch.
Damals schwor man sich in Japan leider auch, nie wieder ein Motorrad zu bauen, das schneller als 300 läuft. Nach japanischer Logik also: 200 PS einfüllen ja, 300 km/h fahren nein. Hä? Wir wollten sehen, ob der neue Falke zumindest am analogen Tacho bis 300 steigt. Und weil auch wir über eine große Portion Selbst-verantwortung verfügen, sind wir nach Deutschland gefahren, um das auszuprobieren. Genau, nach Deutschland. Also 3 Stunden Anfahrt für einen 15 Sekunden dauernden Hochgeschwindigkeitstest. Als hätten wir nichts Besseres zu tun. Selbstverantwortung, sag' ich doch.
Die Beschleunigung ist auf der Hayabusa in ihrer Weise etwas Einzigartiges, als ob 300 Spartiaten hinten anschieben. Brutal aber nicht abrupt, vehement aber nicht ungestüm. Soll noch einer sagen, daß das nicht kontrollierbar wäre. Wie eine irrsinnig starke, große Luxuslimousine. Hier wird viel Masse in Bewegung versetzt, vollgetankt 260 Kilogramm. Der Hinterreifen meldet aufgerieben und unter starken Schmerzen zuviel Kraft aus dem Motor. (Ein Wunder, daß die Bridgestone BT-015 das überhaupt derzahn.) Als ob man das nicht schon wüsste. Hilfeschreie des Pneus sind noch bei 270 zu vernehmen. Da schreit man dann selbst und beginnt zu zweifeln, ob das nicht wirklich zu viel Leistung ist. Nur viel Zeit bleibt nicht zum Zweifeln, es geht weiter und weiter, die Lüft wird dünner und weniger. Bis 280, 290….dann ist Schluß, denn die Zahl der Zahlen sucht man vergeblich auf dem Tachoblatt. Das Ganze passiert in nur wenigen Sekunden. Muß ein ganz großer Vogel sein.
Ob es dann noch weitergeht, das wagte ich nicht herauszufinden, weil die Landschaft ausschliesslich nur mehr aus Strichen bestand und einige Autos offensichtlich auf der Autobahn parkten. Es ist zu vermuten: 'You ain't seen nothing yet!' Ich beschloss, lieber komplett herunterzubremsen, also auf 130. Schön, dass man sich in solchen Situationen auf die Bremsen verlassen kann. Was aber auch diese nicht vergessen, sind die 260 Kilo Lebendgewicht der Speedqueen, die schwer anschieben. Man sollte ordentlich zupacken können. Wie sich allerdings in den letzten Jahren gezeigt hat, sind die Besitzer meist von stattlicher Figur und in der Lage, so ein Monster zu beruhigen. Als ich endlich wieder im legalen Bereich unterwegs war, bemerkte ich, daß die Autos nicht parkten, sondern ebenfalls 130 fuhren.
Nach der Hochgeschwindigkeitsorgie, die sämtliche Endorphinschleusen geöffnet hat, machte sich anarchistisches Gedankengut in meinem Großhirn breit. 'Ich habe das schnellste Motorrad, ergo bin ich der Schnellste und ihr könnt mich alle.' Schön, nur leider fern jeder Realität. Als die Glücksgefühle abgeklungen waren, fühlte ich mich plötzlich ständig wie ein Verbrecher, auch wenn ich mich an die Geschwindigkeitsbeschränkungen hielt. Dann schwirrten eher Gedanken durch meinen Kopf wie 'Können die mich einsperren, weil sie wissen, daß ich theoretisch 300 fahren könnte und ein dringender Verdachtsmoment vorliegt?". Was hat das Gesetz nur mit uns gemacht? Wir fühlen uns schuldig, ohne schuldig zu sein. In Deutschland habe ich kein Gesetz übertreten.
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